DIE VERBORGENE FIGUR MEINER GROßMUTTER
THE HIDDEN FIGURE OF MY GRANDMOTHER
Taktil/visuelle und audio/schreibende Annäherung an die Großmutter. Aus der Serie des jährlichen ANCESTORS Projekt.
Sie existiert nicht. Auf keinem Foto. Sie ist einfach nicht. Augustine Strauss hieß sie als unverheiratete Frau. Ihr Name klingt so schön: A U G U S T I N E. Es gab kein Begräbnis. Im Internet findet man sie nicht, sie starb vor dem digitalen Zeitalter, im letzten Jahrtausend. Sie hat ihren Körper der Medizin vermacht und meines Wissens nach ist er noch immer nicht frei gegeben. Es scheint auch niemanden so richtig zu interessieren. Das hat eine Ursache, der ich aber hier nicht auf den Grund gehen werde. Mich fasziniert diese nicht greifbare Figur meiner Großmutter – verborgen hinter vielen Schichten an Geschichten. Sie war die Mutter meines Vaters. In meinem Kopf brodeln all die Versatzstücke, Puzzleteile aus gehörten Geschichten und Berichten über sie. Es ist ein unvollstädniges Bild – für mich. Zu viele Passagen davon sind mit ihr für immer fort gegangen. Wer sie wirklich war bleibt wohl ein Geheimnis. Biografische Eckdaten sind bekannt. Ihr Geburtstag, der 1 März, soll angeblich in einem Schaltjahr gewesen sein. Was weiß man eigentlich von jemanden? Wie viel ist und bleibt in den Untiefen der Person selbst verborgen. Meine Oma hatte funkelnde – ich glaube – braune Augen. Ein Lächeln auf ihren Lippen, nicht immer eines, dass unbedingt vom Herzen kam. Ihr Wohnzimmer ausstaffiert mit einer großen Anzahl von Porzellanpuppen und Teddybären. Ganz sicher bin ich mir nur bei ihren Augen. Alles andere, das ist eher ein ahnen, ein ich-glaube-mich-zu-erinnern. Bilder gibt es keine. Kein einziges. Das hat seine Gründe, äußerte sich in einem Gespräch ihre Tochter, meine Tante, dazu. Ich lasse also diese Frau, meine Oma, im Verborgenen, im Wissen, dass etwas von ihr in mir ist.
The hidden figure of my grandmother: Versuch eines visuellen und haptischen Herantastens an meine Großmutter_ Taktildrucke, A4, 2021